„Als sozialdemokratische Partei ist es unsere Aufgabe, die Solidarität in der Gesellschaft zu stärken. Das beginnt beim Appell für eigenverantwortliches Handeln. Es geht weiter damit, dass wir unseren Staat handlungsfähig erhalten, um für ein leistungsfähiges Gesundheitswesen, gute Bildung und die Sicherung wirtschaftlicher Existenzen sorgen zu können“, stand heute sehr schön formuliert in einer E-Mail vom direkt gewählten Bundesvorstand an die SPD-Miglieder. Und weiter:
Unser Anspruch ist: Für die Menschen da zu sein! Ohne Sozialdemokratie sähe das Regierungshandeln in diesen Zeiten anders aus. Konkret zum Beispiel, gerade erst vor einigen Tagen in Kraft getreten:
SPD – Soziale Politik für dich!
Mehr Kindergeld | ||
Mehr Netto vom Brutto | ||
90% zahlen keinen Soli mehr | ||
Mehr für Alleinerziehende | ||
Die Grundrente ist da | ||
Der Mindestlohn steigt |
Die Liste der Neuigkeiten ab 01. Januar 2021 ist bemerkenswert. Nicht ein SPD-Erfolg aus der GroKo verbessert konkret den Alltag von öfters arbeits- und dauerhaft kinderlosen Menschen. Den Armen und Schwachen eine Stimme zu geben, ist die Kernaufgabe der Sozialdemokratie. Das diese Menschen jedoch immer wieder leer ausgehen ist ein strukturelles Problem. Das muss besser werden, liebe Genoss:innen. Mehr demokratischen Sozialismus wagen, bitte. Es wird Zeit.
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Natürlich sind die Erfolge gut für viele Menschen, Inventionen in die Infrastruktur sind gut für alle Menschen und mehr ist in der Koalition mit der Union wohl tatsächlich nicht drin gewesen. Aber warum koaliert SPD mit der CDU? Das ist ein Fehler… Die SPD muss entweder in der Opposition mehr Krawall wagen, oder ein Linksbündnis führen, um sozialdemokratische Politik stärker Geltung zu verschaffen.
Besser SPD als CDU, aber bitte vorwärts und noch viel mehr davon. SPD-Erfolge sind vorhanden.
Wir investieren in die Schulen, Kitas, in gute Infrastruktur, in die Zukunft. Wir sorgen dafür, dass Ausbeutung und schlechte Unterbringungen von Mitarbeitenden in der Fleischindustrie gestoppt werden. Und das alles meinen wir, wenn wir sagen: „Wir machen soziale Politik für Dich!“. Denn das umfasst den Sozialstaat, den sozialen Frieden, die soziale Marktwirtschaft, kurz: alles, was uns als Gesellschaft ausmacht und wozu wir seit über 150 Jahren einen entscheidenden Beitrag leisten.
SPD – Soziale Politik für Dich!
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Mehr Basisdemokratie wagen – soziale Schließung überwinden. Arbeitslose an die Macht
Warum gucken Kinder- und Besitzlose ständig in die Röhre? „Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen“, sagt eine Redewendung. Soziologinnen sprechen vom Matthäus-Effekt: „Wo dieser Effekt auftritt, entstehen aktuelle Erfolge mehr durch frühere Erfolge, und weniger durch gegenwärtige Leistungen. Ein Grund liegt in den stärkeren Aufmerksamkeiten, die Erfolge erzeugen. Dies wiederum eröffnet Ressourcen, mit denen weitere Erfolge wahrscheinlicher werden. Kleine Anfangsvorteile einzelner Akteure können so zu großen Vorsprüngen heranwachsen, und eine sehr geringe Anzahl von Akteuren den Hauptteil aller Erfolge auf sich vereinen, während die Mehrheit erfolglos bleibt.“ (Wikipedia) Politikwissenschaftler und Philosophen kennen das Phänomen, gehen es, wie Beyme, weitaus politischer an. Basisdemokratie und organisierte Partizipationsformen, können in der Politik eine Konzentration von Besitz und Macht auf wenige Personen- und Interessengruppen sozial regulieren. Habe das heute versucht, einer SPD-Genossin zu erklären, die mich Sensibelchen – wohl aus Versehen – mit einem eigentlich harmlosen Spruch in Rage brachte.
“Wir sind alle viel beschäftigt”, meinte eine Genoss:in letzten in einer Projektgruppe zu mir, weil ich eine technische Frage hatte und mehrmals in zwei verschiedenen Online-Formaten nachfragte. Das mag wohl dem Online-Format geschuldet, genervt haben, aber der Spruch hat mich arg getriggert. „Nein, wir sind gar nicht alle viel beschäftigt“, pampte ich zurück und schrieb dieses Traktat. „Viel beschäftigt“, zumindest bin es nicht, habe keine Kinder zum Betreuen, keine feste Arbeit und bin Single. Den Spruch “Wir sind alle viel beschäftigt”, kann ich also als Langzeitarbeitsloser als wenig inklusiven Seitenhieb verstehen. Und das tu ich auch. Bisschen mehr Sensibilität bei solchen Äußerungen, bitte, denn im Kern sind solche schnell dahingesagten verbalen Abwehrmechanismen, purer Klassismus, auch wenn es nicht so gemeint ist.
Aber solche Sprüche stellen das „wenig beschäftigt sein“ als Makel, als störend hin. Dabei sollten Genoss:innen sich freuen, wenn mehr Arbeitslose und wenig Beschäftige oder prekär in Mini-Jobs oder Gelegenheitsarbeiten gewerblich tätige Personen, die Zeit haben oder sich die Zeit nehmen, viel Zeit in mühselige Parteiarbeit zu investieren, um sozialdemokratische Politik aktiv mitzugestalten und sich dafür in diverse Kommunikationswege und Debatten-Kanäle bemüht einarbeiten.
Erwarte auch, dass die Personen, die aufgrund Sozialisation in Unternehmen, im Studium oder aus dem Elternhaus kommend, bestimmte soziale, technische und andere Kompetenzen auf dem Weg mit bekommen haben und deshalb in die Partei einbringen können, ihre Kompetenzen auch nutzen, um andere, weniger gut gelittene Menschen dabei unterstützen, sich politisch einzubringen. (Der Satz muss dringend entschachtelt werden. Ist aber wichtig.)
Leider ist es so, dass auch in der SPD eine bestimmte soziale Schicht das Sagen hat. Lehrer, Unternehmer:innen und andere Akademiker:innen bestimmen – zumeist auch noch weiß, männlich und heterosexuell lebend – nach wie vor dominierend die Parteispitze, die Arbeitskreise und Gremien. Sehr wenige Arbeiter:innen und Menschen aus eher bildungsfernen Schichten, die nunmal in Deutschland häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen sind als die Kinder von Leuten, die sich zum Mittelstand oder Besitzbürgertum zählen dürfen, haben Einfluss in der SPD oder bestimmen den politischen Willensbildungsprozess maßgeblich. Diese Menschen, die die Umwelt mit weniger CO2 belasten, da weniger Urlaubsreisen finanziell möglich sind, weniger oder gar kein Auto im Haushalt haben, weniger Kleidung kaufen, weniger Platz zum Wohnen verschwenden, sind weitgehend ausgeschlossen vom kulturellen und politischen Leben in der BRD. Das führt automatisch dazu, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden, weil die wohlhabend Besitzenden mehr Einfluss auf den politischen Willensbildungsprozess nehmen können und das auch proaktiv tun.
Bin nicht gewillt, das so hinzunehmen, habe mir deshalb vorgenommen, mich in Zukunft der Vollzeitbeschäftigung zu verweigern – zum Glück bin ich schon so alt, dass Jobcenter mich als wenig vermittelbar einstuft – um mich mehr dem Politischen zuwenden zu können. Ganz drücken werde ich mich nicht dürfen und wollen, aber mehr als 25 Stunden die Woche werde ich niemals wieder arbeiten. Werde also auch in Zukunft nicht „viel beschäftigt“ sein, weil ich meine Zeit dafür einsetzen möchte, den Klassismus, Sexismus und Rassismus in unserer strukturell klassistischen, sexistischen und rassistischen Gesellschaft politsch zu bekämpfen. Die Leute, die „viel beschäftigt“ sind, interessieren mich politisch eher weniger, es geht mir um die Langzeitarbeitslosen, die Marginalisierten und weniger sozial kompetenten Menschen. Ich möchte, dass die SPD sich diesen Menschen öffnet und einlädt mitzumachen. Zum einen haben diese Menschen viel Zeit, weil wenig beschäftigt, sich politisch zu engagieren, zum anderen wissen diese Menschen aus Erfahrungen am eigenen Leib, wo es klemmt in unserer sozialen Marktwirtschaft.
Jedesmal, wenn ich im Telegramm-Chat oder Slack, in Telefonaten oder Treffen, künftig etwas Unsensibles mitbekomme, was mich bezüglich Klassismus, Sexismus oder Rassismus triggert, mache ich die Person gerne darauf aufmerksam. Bis dahin lesen wir alle mal bei Gelegenheit einen BPB-Aufsatz über Oligarchie und mangelnde Basisdemokratie in der demokratischen Parteienlandschaft. Danke, liebe SPD
Gleichzeitig ist zu beobachten, dass sich das politische Spitzenpersonal durch Prozesse der sozialen Schließung abschirmt, wie sie von Max Weber, Raymond Murphy und Frank Parkin beschrieben wurden.[3] Das bedeutet: Für den Zugang zu einflussreichen Ämtern in Partei und Politik ist weniger ausschlaggebend, ob die Betreffenden in der Basis und in der Kultur ihrer Parteien verankert sind, sondern ob sie soziokulturelles Kapital (Pierre Bourdieu) mitbringen, über das sie oftmals schon aufgrund ihrer familiären Herkunft aus den oberen Schichten der Gesellschaft verfügen.[4] Damit sind kulturelle Bildung, Milieukenntnisse, habitualisierte Verhaltensmuster und vor allem Netzwerke gemeint. Auch akademische Weihen eröffnen zunehmend Aufstiegschancen in die „politische Klasse“ (Klaus von Beyme).
beb.de – das eherne Gesetz der Oligarchie, ist Demokratie möglich?
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