David Bowie in der Muskelbude: Die wechselseitig aerobischen und anaerobischen Achtziger Jahre eskalierten ab 1983 immer drastischer in Richtung Selbstoptimierung. Über einen weiteren Meilenstein des Körperkults stolperten sogar Texas Instruments und Commodore-Computer-Nerds – dem C64-Biorhythmus-Programm.
Mindset ist das neue Modewort. „Armut oder Reichtum ist auch bloß ein Mindset“, meinte letztens ein Freund zu mir. Wir lachten laut. Heute fiel mir das Wort Biorhythmus wieder ein. Ein Begriff, der mit der Debatte über die Umstellung von der Sommer- auf die Winterzeit und umgekehrt zwar immer wieder auftaucht, aber mir persönlich vor allem noch aus dem Aerobic-Jahrzehnt in der Erinnerung hängen geblieben ist: Sich fit fühlen, weil man gut aussieht, gehörte zum kollektiven Mindest (Denkweise) der Achtziger Jahre. Sogar ein gleichmäßig gebräunter David Bowie zeigte plötzlich ein dem Zeitgeist konformes weißes Gebiss und seine antrainierten Muskeln. Das war für einen spindeldürren, käsigen Teenager sehr frustrierend und ein bisschen motivierend zugleich. Fassungslos aber mutig hielt ich das Albumcover von Let’s Dance in den Händen und starrte Bowies nackte Haut an. In Interviews konnten Bowie-Fans es bereits lesen. David Bowie – der ehemals blasse Thin White Duke und die heroinsüchtige Major Tom-Ikone der internationalen Old Freaks- und New Wave-Community – ging seit geraumer Zeit ins Solarium und Fitnessstudio. Im Sommer 1983 trugen Menschen diese neue Mentalität in den Alltag und ihre neu erworbenen Gymnastikhosen, Schweißbänder und Waden-Wärmer auch im Büro zum Bolero-Jäckchen, um gegenüber dem dazumal zumeist männlichen Vorgesetzten besonders fit und damit erfolgreich zu wirken. Die Oberfläche wurde zum inneren Wert erhoben. Kaufen wurde zum Glücksgefühl. Ein gutes Aussehen zum Lebensziel.
Mit David Bowie ins Sonnenstudio und optimierten Biorhythmus zur Ausbildungsstätte
Teenager, berichtet hier ein Zeitzeuge, rechneten sich damals an den ersten Heimcomputern mit Algorithmen auf Basis der Programmiersprache BASIC (Beginner’s All-purpose Symbolic Instruction Code) ihren „Biorhythmus“ aus. Dieses ab Mitte der Achtziger Jahre beobachtete, seltsame Gebaren antizipierte den Optimierungswahn der Nuller- und Zehner-Jahre des 21. Jahrhunderts. Wie fühlt man sich wann am besten, um spezifische Herausforderungen zum richtigen Zeitpunkt anzunehmen? Das sollte ein Biorhythmus-Programm preis geben, um die Schul- Arbeits- oder Freizeit zu optimieren. Wann Pause machen oder sozial interagieren, wann lässt mensch es besser bleiben, Freunde zu treffen oder seinen Job zu erledigen? Der Biorhythmus auf dem C64 verhieß die optimale und planbare Life-Balance-Regulierung des eigenen Geistes und Körpers. Punk war halt tot. Und damit war die No Future respektive Null Bock-Philosophie der späten Siebziger- und frühen Achtziger Jahre hinfällig. Es wurde wieder in die Hände gespuckt. Igitt.
Teenager im August 1983 – weder Punk, Popper oder Ted. Fruit of the Loom-Poloshirt in NYC.
Auf Bowies neuer Frisur mit gefönter Welle surfend übernahmen die Yuppies die Popkultur. „Hab keinen Plan“ wurde zum Synonym für „keine Ahnung“ und einen Ausbildungsplatz zu finden, wurde „geil“. Traurig das alles, denn Teenager formulierten plötzlich Lebenspläne und begannen damit, ihre Hobbys den Karriereüberlegungen anzupassen. Ein trainierter David Bowie im Anzug mit Fönwelle, der sich seiner Erfolge und offensichtlich auch seines neuen Biorhythmus‘ bewusst war, grinste einem 16-jährigen Teenager damals von den Serious Moonlight-Konzert-Tour-Plakaten einladend an. Ein Fanal auf dem, was Jahrzehnte später in den Sozialen Medien folgte und bereits in den Neunziger Jahren im Neoliberalismus zur Selbstausbeutung des Menschen im Kapitalismus führte.
Bemerkenswert indes, dass David Bowie im Song Let’s Dance, den globalen Konsumismus und das Nachlaufen von Mode-Trends kritisch besingt und die Leere des westlichen Lifestyles im Beat hübsch verpackt beklagt.
Wissenswertes über den Biorhythmus – echter Wach-Schlafrhythmus und falsche Pseudolehren
Biorhythmik als Pseudowissenschaft: Der Begriff Biorhythmus wird auch im Rahmen der Biorhythmik verwendet, einer Pseudowissenschaft, die davon ausgeht, dass das Leben wellenförmig drei unterschiedlich lang dauernden (zwischen 23 und 33 Tagen) Rhythmen unterliegt – dem körperlichen, emotionalen und intellektuellen. Basierend auf dem Geburtsdatum und dem Geschlecht werden so mithilfe von Modellen gute und schlechte Tage errechnet. Diese spekulative Form der Gesetzmäßigkeiten wurden vom Arzt Wilhelm Fleiß Anfang des 20. Jahrhunderts propagiert und entbehren der wissenschaftlichen Grundlage.
Gesundheit.de
Biorhythmus – wie tickt unsere innere Uhr? Mit der Debatte um die Abschaffung der Zeitumstellung war er wieder in aller Munde: der Biorhythmus – die innere Uhr des Körpers oder wissenschaftlich der zirkadiane Rhythmus. Er legt fest, wann wir müde und wann leistungsfähig sind. Einen objektiven, allgemeinen Rhythmus, der auf jeden Menschen zutrifft, gibt es dabei nicht. Vielmehr ist der Biorhythmus ein subjektives Empfinden: Wann wirst du wach? Wie lange brauchst du zum Aufwachen? Wann bist du am leistungsstärksten und wann wirst du müde? Dabei kannst du darauf teilweise auch selbst Einfluss nehmen: Wenn du deinen Wecker regelmäßig auf dieselbe Uhrzeit stellst, wirst du schon gemerkt haben, dass du oft auch an Tagen ohne Wecker fast zur gleichen Uhrzeit aufwachst. Genauso verhält es sich mit dem Schlafengehen. Wer immer spät ins Bett geht, dem wird es schwer fallen, ausnahmsweise schon zwei Stunden früher einzuschlafen.
Utopia.de